Physiotherapie nach Wirbelsäulen OP: keine Rotation

Alternde Wirbelsäule

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Bei fortgeschrittener Wirbelsäulendegeneration und nach Wirbelsäulenoperationen sollten Drehbewegungen vermieden werden. Warum ist das so?

In diesem Artikel möchte ich Ihnen erläutern, was sich durch das Altern im Allgemeinen an der Wirbelsäule ändert. Sie werden schnell merken, dass die Möglichkeiten vielfältig sind und im Einzelfall ganz individuelle Konsequenzen daraus gezogen werden müssen.

An der Wirbelsäule bedeutet altern vor allem, dass die Bandscheiben Wasser verlieren. Dadurch kommt es zu einem Druck- und Höhenverlust. Die vordere Säule verliert an Höhe – die Wirbelsäule kyphosiert. Dieser Prozess der Kyphosierung wird noch verstärkt durch den Verlust an Höhe bei gleichzeitigem Vorliegen von Osteoporose +/- Knochenbrüchen.

Gleichzeitig kommt es durch den Verlust von Wasser in den Bandscheiben zu einer segmentalen Instabilität, die durch den Körper ausgeglichen werden muss. Dies kann auf zwei Arten geschehen: Sogenannte Spondylophyten wachsen an den Wirbelkörpervorder- und -seiten an. Diese Knochenanbauten sind schmerzfrei und stabilisierend.

Spondylophyt
Eine degenerierte Bandscheibe wird durch einen Spondylophyt knöchern überbrückt

Ohne Stabilisierung über die Spondylophyten wird ein Großteil der Last über die Facettengelenke abgetragen, die für diese Art der Lastabtragung primär nicht geeignet sind. Die Überlastung der Gelenke geht gleichzeitig mit einer schmerzhaften Zerstörung des Gelenkknorpels und einem deutlichen Wachstum er Gelenke – der Facettenarthrose – einher.

Bandscheibendegeneration
Eine degenerativ bedingte segmentale Instabilität führt zur Umverteilung der Lastaufnahme von den Bandscheiben zu den Facettengelenken.

Beide Prozesse – Spondylophyten und Facettenarthrose – führen zu einer zunehmenden Einsteifung der Wirbelsäule.

Verletzbarkeit

Nun hat man bei einer zunehmenden Versteifung der Wirbelsäule nicht sofort den Gedanken, dass die Wirbelsäule als Ganzes dadurch anfälliger wird. Aber genau das ist der Fall: Ein starrer Stab bricht, ein flexibles Seil nicht. Die Versteifung erfolgt aber nicht gleichmäßig. So gibt es in der alternden Wirbelsäule Bereiche, in denen sich Belastungsspitzen entladen können. Gefährdet sind folgende Bereiche:

  • Bereiche, die eine bereits höhergradige Instabilität aufweisen wie z.B. das degenerative Wirbelgleiten
  • Übergang der starren Brustwirbelsäule (BWS) in die etwas beweglichere Lendenwirbelsäule (LWS)
  • frisch operierte Segmente ohne Schrauben, z.B. nach Dekompressions- oder Bandscheibenoperationen von hinten. Durch die Dekompression sind die Wirbelbögen geschwächt und können leichter brechen. Derartige Brüche kann man in der Regel weder im Röntgen noch in CT oder MRT diagnostizieren, weil die Brüche nicht klaffen und nur wenige Millimeter groß sind. Aufgrund der Nähe zu den Nerven können sie jedoch ausgeprägte Schmerzen verursachen.
  • Grenzbereiche zu Versteifungsoperationen

Warum besteht die Verletzbarkeit ausgerechnet bei Verdrehungen der Wirbelsäule?

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Kraftübertragung auf vulnerable Segmente bei jeder Bewegungsrichtung der Wirbelsäule (Vorwärts-/Rückwärts-/Seitwärtsneigung und Rotation) erhöht ist. Allerdings verteilt sich das Kraftmoment bei Neigevorgängen homogener auf die Anatomie als bei einer Rotation. Insbesondere nach einer Dekompression treten hier erhebliche Scherkräfte an den Wirbelbögen auf. Diese können sich dann in Form einer Fraktur entladen. Hinzu kommt, dass sich der Mensch aus eigener Kraft nicht beliebig nach vorne, nach hinten oder zur Seite neigen kann, da er sonst das Gleichgewicht verliert.

Bei Drehungen verhält es sich ganz anders. Das Becken ist fixiert und wir sind es gewohnt, im Schultergürtel frei zu agieren, sowohl im Sitzen als auch im Stehen. Die Torsion des Rumpfes ist also ein integrierter Bestandteil des täglichen Lebens. Solange die zunehmende Einschränkung dieses Freiheitsgrades im Laufe des Lebens akzeptiert wird, besteht auch keine Gefahr. Verschiedene sportliche Aktivitäten und physiotherapeutische Übungen haben die Verbesserung der Beweglichkeit der gesunden oder nur leicht degenerativ veränderten Wirbelsäule durch Rotationen zum Ziel. Dies sollte bei der operierten Wirbelsäule aus den oben genannten Gründen so weit wie möglich vermieden werden.

Skizze der dekomprimierten Wirbelsäule von dorsal mit Einzeichnung der Lastspitzen
Ansicht der Bewegungssegmente von hinten bei einer Verdrehung des Oberkörpers im Uhrzeigersinn gegen das Becken. Blau sind Zugkräfte und rot sind die Lastspitzen, die insbesondere im Bereich des Fräsdefektes auftreten. Hier kann der operativ geschädigte Knochen dann brechen.

Weitere interessante Details der Wirbelsäulen – Biomechanik

Die Brustwirbelsäule ist weniger beweglich als bisher angenommen

Ging man bisher davon aus, dass aufgrund der dachziegelartigen Anordnung der thorakalen Facettengelenke hier eine außerordentlich gute Rotationsbeweglichkeit existiert, so muß diese Annahme relativiert werden.

Der wesentliche Stabilisator gegenüber Rotationskräften ist der Brustkorb und hier insbesondere die Verbindung zum Brustbein. Setzt man das ganze Konstrukt noch unter Last (wie es physiologischerweise passiert), dann reduziert sich die Bewegungsamplitude doch ganz erheblich (siebe nebenstehende Abbildung, helle Balken).

Abbildung der segmentalen Beweglichkeit der thorakalen Wirbelsäule. Aus Liebsch, C.: Die Wirbelsäule 2023; 7:76-83
Aus Liebsch, C.: Biomechanische Studien der thorakalen Wirbelsäule. Die Wirbelsäule 2023; 7:76-83. Verwendung mit Genehmigung des Autors.

Gekoppelte Bewegungen

Eine Flexion in der LWS senkt den Rotationswiderstand, so dass in maximaler Flexion 14% mehr Rotation und in maximaler Extension 24% weniger Rotation möglich ist.1Drake JD, Callaghan JP. Do flexion/extension postures affect the in vivo passive lumbar spine response to applied axial twist moments? Clin Biomech (Bristol, Avon). 2008 Jun;23(5):510-9. doi: 10.1016/j.clinbiomech.2007.12.005. Epub 2008 Jan 29. PMID: 18234402. Für die BWS ist ein gegenteiliger Effekt der Kyphosierung anzunehmen, da es hierbei zu einer Verdichtung der stabilisierenden Brustkorb-Brustwirbelsäulen-Einheit kommt. Hinweisgebend für einen derartigen Effekt sind die oben aufgeführten Ergebnisse mit und ohne Belastung.

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