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Vor dem Sturz ist nach dem Sturz
Ausgangspunkt für Überlegungen zur Osteoporosetherapie und -diagnostik sind häufig Stürze mit Frakturfolge, beispielsweise Schenkelhalsfrakturen, Radiusfrakturen und Wirbelkörperfrakturen. Somit wird der Sekundärprävention sowohl des Sturzes als auch der knöchernen Fragilität eine besondere Rolle zuteil. Man sollte sich immer bewußt sein, dass es nicht nur allein körperliche Faktoren sind, die das Knochenbruchrisiko determinieren. Allein die Angst vor einem erneuten Sturz kann ein zusätzliches Risiko für einen erneuten Sturz sein. Dies ist auch plausibel, da Vermeidungsverhalten mit Unsicherheit und Aktivitätsreduktion einhergeht. 1 Delbaere, K., Crombez, G., Vanderstraeten, G., Willems, T., & Cambier, D. (2004). Fear-related avoidance of activities, falls and physical frailty. A prospective community-based cohort study. Age and Ageing, 33(4), 368–373. https://doi.org/10.1093/AGEING/AFH106
Aus diesem Grund hat die Bundesinitiative Sturzprävention ein Empfehlungspapier zur Etablierung körperlicher Trainingsangebote erarbeitet. Aus bisherigen Daten gibt es kaum einen Unterschied zwischen Einzel- und Gruppenangeboten, jedoch eine erreichbare 25%ige Sturzreduktion. Es ist wichtig, Menschen mit Sturz-Anamnese, Sturz-Risiko und Sturz-Angst über derartige Programme anzubinden. 2 Jansen, C. P., Gross, M., Kramer-Gmeiner, F., Blessing, U., Becker, C., & Schwenk, M. (2021). Group-based exercise to prevent falls in community-dwelling older adults: Update of the 2009 recommendations of the German Federal Initiative to Prevent Falls. Zeitschrift Fur Gerontologie Und Geriatrie, 54(3), 229–239. https://doi.org/10.1007/S00391-021-01876-W/TABLES/2
Wie können wir rehabilitieren ?
Die Wirksamkeit von körperlichem Training auf die Knochendichte ist belegt. In einer Meta-Analyse konnten sowohl Übungen vom Typ WB (weight-bearing), also jegliche Form der aeroben und anaeroben Belastung gegen die Schwerkraft (Tai Chi, Laufen, Rennen, Tanzen, Hüpfen, Springen) als auch vom Typ DRT (dynamic resistance training), also jegliche dynamische Beanspruchung der Gelenkarbeit für die Zunahme der Knochendichte als positives Stimulans für die Knochendichte herausgearbeitet werden. 3 Kemmler, W., Shojaa, M., Kohl, M., & von Stengel, S. (2020). Effects of Different Types of Exercise on Bone Mineral Density in Postmenopausal Women: A Systematic Review and Meta-analysis. Calcified Tissue International, 107(5), 409–439. https://doi.org/10.1007/S00223-020-00744-W Allerdings ist eine Mindesttrainingsdauer von 6 Monaten, d.h. ein nachhaltiges Programm erforderlich. Zwei oder mehr Trainingseinheiten pro Woche sind effektiver als weniger, Trainingszeiträume von mehr als 12 Monaten haben einen deutlich höheren Effekt. 4 Zitzmann, A. L., Shojaa, M., Kast, S., Kohl, M., von Stengel, S., Borucki, D., Gosch, M., Jakob, F., Kerschan-Schindl, K., Kladny, B., Lange, U., Middeldorf, S., Peters, S., Schoene, D., Sieber, C., Thomasius, F., Uder, M., & Kemmler, W. (2022). The effect of different training frequency on bone mineral density in older adults. A comparative systematic review and meta-analysis. Bone, 154. https://doi.org/10.1016/J.BONE.2021.116230
Supervision verdoppelt die Effekte. 5 Hoffmann, I., Shojaa, M., Kohl, M., von Stengel, S., Becker, C., Gosch, M., Jakob, F., Kerschan-Schindl, K., Kladny, B., Clausen, J., Lange, U., Middeldorf, S., Peters, S., Schoene, D., Sieber, C., Tholen, R., Thomasius, F., Bischoff-Ferrari, H. A., Uder, M., & Kemmler, W. (2022). Exercise Reduces the Number of Overall and Major Osteoporotic Fractures in Adults. Does Supervision Make a Difference? Systematic Review and Meta-Analysis. Journal of Bone and Mineral Research : The Official Journal of the American Society for Bone and Mineral Research, 37(11), 2132–2148. https://doi.org/10.1002/JBMR.4683
Wider die Kyphosierung
Da die Osteoporose an der Wirbelsäule hauptsächlich die vordere Säule (Wirbelkörper) betrifft, sind alle Übungen, die zusätzliche Last auf diesen Skelettabschnitt bringen (Sit-ups, Klappmesser, Crunches) mit Vorsicht zu betrachten. Auch Rotationsübungen bergen eigene Risiken. Siehe auch Physiotherapie nach WS-OP.
Es sollte vor allem auf eine Stärkung der Wahrnehmung hingearbeitet werden. Dies beinhaltet eine Evaluation der sensorischen Fähigkeiten (Sehen, Hören, Gleichgewicht). Können hier Reserven mobilisiert werden ? – manchmal muss ja nur die Brille geputzt werden.
Ein anteflektiertes Gangbild ist ein zusätzlicher Risikofaktor für Sturzereignisse. Verschiedene neuro-degenerative Erkrankungen gehen mit einer zunehmenden Kyphosierung und einer sagittalen Lotdekompensation nach vorn einher: Parkinson, SAE, Demenz. Wirbelkörperfrakturen und Bandscheibendegeneration führen zur Kyphose. Kontrakturen von Hüft- und Kniegelenken führen zur Kyphose. Siehe auch Cone of Economy.
Das heißt für uns: anteflektierte Stand- und Gangbilder zu erkennen ist die wesentliche Aufgabe, das Auflösen der Ursachen baut logischerweise darauf auf.
Physiotherapie
Wie sieht nun die Umsetzung des eben beschriebenen in der Praxis aus?
Sturzprävention
Essentiell ist an dieser Stelle die Gangschule nebst Einzeltherapie, um eine effektive Gang- und Haltungskorrektur zu erwirken. Sinnvoll gestaltet sich außerdem die Wassertherapie. Dabei wird nicht nur die Körperwahrnehmung und Muskulatur trainiert, sondern außerdem das Gleichgewicht. (Bsp: https://www.youtube.com/watch?v=b0io3GiEHNA). Für die Patienten ist es dabei ein wichtiger Lerneffekt, dass Bewegung nicht automatisch mit einem Verletzungsrisiko einhergeht – was bei der Wassertherapie offensichtlich ist. Somit minimieren wir die Angst, stärken die eigenen Kompetenzen – wir kräftigen gleichzeitig Kopf und Körper.
Ein weiterer Pfeiler bildet die Aufklärung von Patientinnen und Patienten über eigene Möglichkeiten der Sturzprophylaxe und Verhaltensweisen im Alltag (https://www.osteoporose.de/selbsthilfe/sturzprophylaxe). Nachhaltig untermauert wird dies durch das Beibringen eines täglichen Übungsprogrammes (https://therapiewelt.immanuel.de/ratgeber/uebungen-fuer-osteoporose-patienten/, https://www.rheuma-liga.de/fileadmin/public/main_domain/Dokumente/Mediencenter/Publikationen/Broschueren/A4_Bewegungsuebungen_Osteoporose.pdf)