Was soll im Gesundheitssystem erreicht werden ?

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Die Messung von Effizienz im Gesundheitswesen ist eine Herausforderung, der sich unsere Gesellschaft in steigendem Maß widmen muss. Euros und Arbeitszeit sind nur einmal vorhanden – wenn ich sie an der falschen Stelle einsetze, muss ich an anderer Stelle sparen. Wenn ich viele Ressourcen in der Therapie am Lebensende verpulvere, bleibt weniger für die Überlebenden. Eine Investition in Präventionsmassnahmen (Rauchen, Adipositas) und Bildung hat einen mehrfach höheren return on investment als die Behandlung von Diabetes, Herzinfarkt und Lungenkrebs. Das Schlimme daran ist: wir wissen es und es ist so plausibel.

Wie transportiere ich nun dieses Wissen in die Realität und wie können wir eine Änderung herbeiführen?

Orientierung am Gesunden

Um mit einem Missverständnis aufzuräumen: Heilung und Gesundwerden ist nicht die Leistung unseres Gesundheitssystems – es ist vor allem die Leistung unseres Körpers. An manchen Stellen benötigen wir Hilfe:

  • schwerer Unfall mit operationspflichtigen Verletzungen
  • akute lebensbedrohliche Erkrankung wie z.B. Herzinfarkt
  • Krebserkrankung

Es ist ja auch gut, dass wir hier effektive Therapien besitzen. Nur: auch der osteosynthetisch versorgte Knochen muß heilen. Nach dem Herzinfarkt muß die Restleistung des Herzens noch groß genug sein, mein Körper muß sich nach einer Operation oder Chemotherapie oder Bestrahlung wieder regenerieren können. Diese kostenlose Leistung unseres Körpers wird häufig vorausgesetzt und beim Versagen der ein oder anderen Therapie auch als Sündenbock hingestellt. Aber beschäftigen wir uns mit der Gesundung wirklich? Was könnten wir erreichen, wenn wir diesen Aspekt – gesund werden und gesund sein – mehr beachten würden. Welche Umweltfaktoren müssen wir berücksichtigen, damit Menschen gesund bleiben?

Noch viel effektiver wäre dann die Beschäftigung mit der Frage: was macht uns krank und wodurch kann ich dies verhindern? Auch dieses Ansinnen – die Prävention – ist bekannt. Im arbeitsmedizinischen Umfeld ist das gut erforscht, Massnahmen haben hier zur Unfallreduktion geführt, Berufskrankheiten werden vielleicht auch seltener. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Klimawandel werden wir in den nächsten Jahrzehnten verstehen müssen. Die Folgen unseres Konsumverhaltens auf uns und den Rest der Welt sind schon längst bekannt – allein die industriellen Trigger sind stärker gegen eine Verhaltensänderung gerichtet und behindern den Wandel.

Was müssen wir also tun ?

Veränderung durch Sichtbarkeit durch Messbarkeit

Nur die Dinge, die ich messen kann, kann ich auch verändern. Warum ist das so?

Es geht um die Transparenz und die Akzeptanz von Realität. Realität entsteht in jedem von uns auf eine individuelle Art und Weise, geprägt von unseren Sinnen und Erfahrungen. Änderungen dieser Realität stellen eine Herausforderung dar, haben schlimmstenfalls einen Bedrohungscharakter. Wenn ich Änderungen akzeptieren soll, muss ich deren Wert für mich gegen den Aufwand berechnen können. Dazu ist die Messung erforderlich.

Von dieser nüchternen Vorgehensweise gibt es natürlich Ausnahmen: Gruppenverhalten, Belohnungen, Ablenkung… Im Endeffekt steht hier aber auch immer eine Berechnung der Vor- gegen die Nachteile.

Das Ausmaß an Gesundheit ist den Akteuren im Gesundheitswesen oft nicht bewußt – das Ausmaß an Krankheit schon. Beispiele:

  • Als Qualitätsindikatoren werden die Dauer von Krankenhausaufenthalten, Komplikationen, Arbeitsunfähigkeitszeiten, etc. gemessen
  • Klinische Scores können nur in ihrem jeweiligen Fachgebiet eingesetzt werden, sie lassen sich nicht in eine allgemeine Gesundheitsformel einbeziehen. Welche Relevanz für den als krank oder gesund erlebten Zustand hat es, ob sich ein Kniegelenk gut bewegen lässt? Hier benötigt man ein Gesamtbild, einschliesslich Umweltfaktoren.
  • Auch PROMs (Patient reported outcomes) bilden entweder nur Teilaspekte ab oder sind zu global, werden daher nicht von allen Patienten gleich gut verstanden. Ihnen fehlt die Individualität.

Wir benötigen also ein Messinstrument, welches für Patienten und professionelle Akteure gleichermassen verständlich und anwendbar ist. Dieses Instrument:

  • soll einfach anwendbar sein, idealerweise muß ein Gamification-Ansatz her, damit die fehlende intrinsische Motivation zur Aufarbeitung des eigenen Gesundheitszustands kompensiert werden kann.
  • soll ebenso barrierearm erreichbar sein und interoperabel in elektronische Patientenakten oder ähnliches übernommen werden können
  • soll global abbilden und ebenso eine fokussierte Auflösung von Gesundheit erlauben
  • soll ein leicht verständliches Ergebnis liefern
  • soll Zeitachsen mit Einflussfaktoren darstellen

ICFx Notebook

Ich möchte an dieser Stelle nicht behaupten, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Das steht mir auch gar nicht zu, da die oben genannten Probleme schon lange klar sind. Die entsprechenden Arbeitsgruppen der WHO haben sich mit dieser Thematik auch schon seit Jahrzehnten befasst und dafür die ICF-Klassifikation entwickelt. Allerdings ist diese Klassifikation in ihrer Rohform schwer zu durchschauen, ihr Einsatz aufgrund der fehlenden Praktikabilität im Alltag de facto nicht gegeben. Wenn es jetzt gelänge, diese Klassifikation in eine zugängliche Form zu bringen, hätte man ein Grundgerüst, welches zumindest das gedankliche Konzept eines Messinstruments für Gesundheit abbilden kann.

Ich habe meinen Entwurf “ICFx Notebook” getauft. Nachempfunden ist dies dem Jupyter Notebook aus der Python-Welt, welches ein offenes Experimentieren mit Mathematik, Physik, Informatik, Daten, … erlaubt. Genauso ist dies auch gemeint: Keine fertige Lösung, sondern ein Arbeitsmittel für jedermann – auch und gerade für Patienten bzw. Betroffene. Offen für Verbesserung. Individualisierung. Teilbar. Interoperabel.

Das Notebook verwendet die Zeichnungen von TAI TAKAHASHI, International University of Health and Welfare and TAI Human Research.Inc.

Schaut es Euch bitte einmal an und gebt mir Rückmeldung, wie ihr es findet:

ICFx Notebook Demo
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